Jul 07 2013

Was sind Wissenschaftsläden

Von um 13:11 in 30 Jahre WiLaDo,WiLa

Skript für das 30-jährige Jubiläum des WiLaDo:

Der Name deutet bereits auf die Entstehungszeit hin – die 70iger – als auch die Kinderläden entstanden. Die Geschichte der Wissenschaftsläden begann 1974 in den Niederlanden; in Amsterdam und Utrecht. Studenten und Beschäftigte wollten heraus aus dem Elfenbeinturm. Sie wollten nicht mehr nur theoretisch arbeiten, sondern Projekt- und Problemorientiert. Sie gründeten Arbeitsgruppen und begannen Bürgerinitiativen zu helfen und zu beraten. In dieser Zeit stieg auch das allgemeine Interesse an Umwelt- bzw. ökologischen Themen; ein klassisches Aufgabengebiet der Wissenschaftsläden.

Die Arbeit der niederländischen Weetenschaapswinkel kam gut an. 5 Jahre nach Gründung der ersten – rein ehrenamtlich arbeitenden – WiLas empfahl der niederländische Wissenschaftsminister den Unis Wissenschaftsläden einzurichten, inklusive fester Stellen. So sind bis heute Wissenschaftsläden in den Niederlanden – und mittlerweile auch in vielen anderen Ländern – fester Bestandteil der Universitäten.

Wissenschaftsläden sehen sich als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Das bedeutet zum einen wissenschaftliches Potential für gesellschaftliche Gruppen verfügbar zu machen, die z.B. aus finanziellen Gründen oder wegen fehlender Qualifikation keinen Zugang zur universitären Wissenschaft haben, und umgekehrt die Einbringung gesellschaftlich relevanter Fragestellungen in Forschung und Lehre.

Die Motivationen für diesen Ansatz liegen u.a. in dem Versuch, verantwortliche Wissenschaft zu betreiben, die nicht blind gegenüber den Auswirkungen ihres Handelns bleibt, sowie die Erfahrung, daß große Teile der Wissenschaft durch ihre Struktur und ihre Abhängigkeiten eher zum Problem als zur Lösung gesellschaftlicher Fragen gehören.

Dies hat Auswirkungen. Zum Beispiel arbeiten viele Wissenschaftsläden im Bereich praktischer Ökologie und beraten u.a. Menschen, die unter den Auswirkungen der heutigen industriellen Chemie leiden. Interdisziplinäres Arbeiten ist in den WiLas selbstverständlich. Aufgrund der Vielschichtigkeit realer Probleme ist das unvermeidbar und gleichzeitig eine Bereicherung für die Beteiligten. WiLas verfügen üblicherweise über viele Kontakte zu Initiativen vor Ort und überregional, was die Sensibilität für Probleme erhöht wie auch die Möglichkeit, Menschen in Problemlösungen einzubeziehen.

Wissenschaftsläden entstanden nach und nach überall in der Welt:

  • Schon in den 70igern in den USA – cbr – community based research
  • 80iger Jahre: Österreich, Dänemark, England, Nordirland, Australien, Deutschland
  • 90iger: Kanada, Spanien, Rumänien
  • 2000er: Belgien Frankreich, Südkorea, Portual, Lettland, Japan, Ungran, Irland, Türkei
  • 2010er: Zypern, Griechenland, Israel, Norwegen, Estland

Die Organisationsform der WiLas ist nicht einheitlich.

  • In den Niederlanden – und vielen anderen Ländern – sind sie fester Bestandteil der Hochschulen mit gleicher Ausstattung wie die zur Wirtschaft orientierten Technologietransferstellen.
  • In Österreich gab es z.B. eine staatliche Anschubfinanzierung und teilweise Zusammenarbeit mit den Hochschulen.
  • In der BRD gibt es kaum WiLas an Hochschulen. Die meisten schlagen sich als gemeinnüzige Vereine auf Spendenbasis durch, manchmal ergänzt durch kommunale Drittmittelprojekte oder ABMs.

In den 80iger Jahren gab es in Deutschland ca. 30 WiLas. Davon gibt es aber kaum noch welche. Neben dem WilaDo gibt es noch

Den Wila Bonn

  • wurde ein Jahr nach dem Wilado gegründet
  • heute der größte in Deutschland
  • mit bis zu 30 Leuten
  • selbstverwaltet
  • „National Contact Point“ im „Living Knowledge“ Netzwerk

Wissenschaftsladen „kubus“ der TU Berlin

  • seit 1986
  • einer der wenigen deutschen Wilas mit Anbindung an eine Hochschule

WiLas in Hannover und Tübingen

Dank EU-Förderung ist in den letzten Jahren wieder Schwung in die Sache gekommen. Das internationale Netzwerk der Wissenschaftsläden ist schon seit 1998 Gegenstand der Förderung durch die Europäische Union. Die EU unterstützt das Netzwerk an sich und den Aufbau neuer Wissenschaftsläden sowie gemeinsame Projekte und Konferenzen.

In Deutschland wurden in den letzten Jahren mehrere neue Wilas gegründet: in Zittau, Potsdam, Dresden und Berlin („Sozialwissenschaftsladen“ (SoWiLa) im Bezirk Mitte und „basis.wissen.schaft“ in Tempelhof) und zuletzt im November 2012 der WiLa der Uni Vechta.

Vernetzt sind die Wissenschaftsläden über das Netzwerk „Living Knowledge“ Eine gemeinsame Basis für Erfahrungsaustausch und Projektentwicklung. Die 5. Living Knowledge Konferenz fand letztes Jahr im Frühjahr in Bonn statt.

Da Bonn quasi nebenan ist, waren auch 2 Personen vom WiLaDo dort. Insgesamt nahmen ca. 250 Personen aus 34 Ländern an der 5. Living Knowledge Konferenz teil. Es waren auch Studierende da, aber überwiegend Leute die irgendwie an einer Uni bzw. deren Wissenschaftsladen angestellt sind. Der WiLa Bonn, Organisator der 5. Living Knowledge ist als unabhängiger e.V. eher die Ausnahme – und eine große: um die 30 Leute verdienen ihr Geld dort in Selbstverwaltung!

Klammer für die diversen Organisationsformen ist, neben Forschung und Lehre, der 3. Auftrag der Unis: der Austausch mit der Gesellschaft. Projekte werden meist von Studenten durchgeführt; ehrenamtlich oder bezahlt, oft gibt’s Scheine für die Mitarbeit, oder es ist Studien- bzw. Diplomarbeit.

Wir haben in den Tagen in Bonn von erstaunlich vielen konkreten Projekten erfahren:

  • viele im Bereich Öko und Nachhaltigkeit
  • aber auch Stadtentwicklung, Bürgerbeteiligung
  • Soziales, Gesundheit, Randgruppen

Projektanfragen / -zusammenarbeit: WiLas u.ä. werden für ein allgemeines Interesse aktiv, nicht für ein Einzelinteresse. Daher keine Aktivitäten für Einzelpersonen, sondern für/mit Organisationen, Gruppen, Initiativen aus der Gesellschaft.

Seit einiger Zeit scheint ein Paradigmenwechsel im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft stattzufinden, der sich auch in der Wissenschaftspolitik niederschlägt (zB Förderprogramme der EU), aber auch privatwirtschaftlich (zB Zeppelin-Universität).

Gegenüber dem alten Modell, dass Wissenschaft die Wahrheit besitze und ihre Bringschuld gegenüber der Gesellschaft darin besteht, diese Wahrheit dem Publikum verständlich darzustellen, propagiert das neue Modell, das von den Leuten auf der Konferenz vertreten wird, einen intensiven Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

Von der Forschung über die Gesellschaft, über Forschung für die Gesellschaft ist jetzt Forschung mit der Gesellschaft angesagt. In diesem Austausch nimmt die Wissenschaft Probleme, die aus der Gesellschaft an sie heran getragen werden, als wichtige Fragestellungen auf – neben der Grundlagenforschung, die aber auch von der empirischen Basis der gesellschaftsorientierten Forschung profitieren kann. Umgekehrt übertragen sich wissenschaftliche Sichtweisen und Methoden aus der Uni durch die partizipative Bearbeitung der Probleme auf die Gesellschaft.

Die sechste „Living Knowledge“-Konferenz mit voraussichtlich einigen hundert Teilnehmer/-innen ist im April 2014 in Kopenhagen.

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