Mai 05 2022

Wachstum

Von um 21:29 in Permakultur

Titelseite von Die Grenzen des Wachstums

Update, 14.01.2023: Hier geht es zur Linkliste Permakultur

Mit diesem Text erinnern wir an die „Grenzen des Wachstums“ von 1972 und stellen unser neues Projekt vor, bei dem es auch um Wachstum geht. Aber ganz anders.

Vor 50 Jahren also veröffentlichte der Club of Rome den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ [1] (digital via LibGen [2]). Dieser Bericht beruhte auf einer Studie des MIT zur Lage der Menschheit und zur Zukunft der Weltwirtschaft. Die Studie wurde mit einem 1972 noch recht ungewöhnlichen Verfahren erstellt: einer Computersimulation (A). Mit dem Modell wurde der Einfluss von fünf Faktoren untersucht: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung, Ausbeutung von Rohstoff-Reserven und Zerstörung von Lebensraum. Eine der zentralen Schlussfolgerungen der Studie lautete:

„Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ [1]

Dies könnte zu einem raschen und nicht aufzuhaltenden Absinken der Bevölkerungszahl und der industriellen Kapazität führen. Die WissenschaftlerInnen stellten 1972 fest: nur sofortige durchgreifende Maßnahmen könnten diese Entwicklung noch stoppen. Zu diesen Maßnahmen zählen zB: Umweltschutz, Geburtenkontrolle, Begrenzung des Kapitalwachstums sowie technologische Maßnahmen wie Wiederverwendung von Abfällen, verlängerte Nutzungsdauer von Produkten und Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit.

Die Ergebnisse der Studie wurden in den folgenden Jahrzehnten regelmäßig durch andere Studien bestätigt. Trotzdem sind bis heute keine relevanten Anstrengungen erkennbar, die Probleme zu beseitigen. Die kritische Leserin wird das allerdings kaum erstaunen, wäre dafür doch ein radikaler Umbau der Gesellschaften bzw. der Wirtschaft nötig. Die Profiteure der aktuellen Wirtschaftsweise werden jedoch nicht freiwillig auf Macht und Reichtum verzichten. Da auch eine soziale Revolution nicht in Sicht ist, liegt es zunächst an jedem einzelnen Menschen sein eigenes Dasein auf diesem Planeten möglichst ressourcenschonend zu gestalten. Das haben schon in den 1970iger Jahren (B) viele erkannt. Ihnen war auch klar, dass sie gemeinsam mehr erreichen können und gründeten zB die heute großen Umweltschutzverbände wie Greenpeace und BUND (C). In den letzten 50 Jahren wurden (und werden immer noch) von vielen Menschen neue Konzepte entwickelt um die Empfehlungen aus „Grenzen des Wachstums“ umzusetzen. Ein viel versprechender Ansatz ist die Permakultur.

Entstehung

Papayas

„Permakultur“ ist von dem englischen „permanent (agri)culture“ abgeleitet (deutsch: „dauerhafte Landwirtschaft“ oder „dauerhafte Kultivierung“). Es handelt sich dabei um ein nachhaltiges Konzept für Landwirtschaft und Gartenbau. Es basiert darauf, natürliche Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur genau zu beobachten und nachzuahmen.

Das Konzept „Permakultur“ entwarfen die Australier Bill Mollison und David Holmgren in den 1970er Jahren. Sie waren aber nicht die ersten, die sich Gedanken um nachhaltige Landwirtschaft machten. In Europa erprobte die Lebensreform-Bewegung bereits Ende des 19. Jahrhunderts Konzepte zur nachhaltigen Landwirtschaft und Lebensweise, woraus sich der Biolandbau entwickelte.

Den Begriff „permanent agriculture“ verwendete 1911 der amerikanische Agrarwissenschaftler Franklin Hiram King um die nachhaltigen Anbaumethoden in China, Korea und Japan zu beschreiben. Inspirierend für die Permakultur war auch Ruth Stout, die auf ihrer Farm in Oregon eine Methode des Gärtnerns mit Mulch entdeckte, mit der das Umgraben des Bodens überflüssig wurde. Sie veröffentlichte ihre Erfahrungen 1955 in dem Buch „How to have a Green Thumb without an Aching Back: A New Method of Mulch Gardening“.

Unabhängig von Mollison und Holmgren beschrieb in Japan Masanobu Fukuoka ein ähnliches Landwirtschaftskonzept. Sein Naturverständnis beruhte auf einer zen-buddhistischen Philosophie. Bücher von Fukuoka, wie das 1978 ins Deutsche übersetzte „Der große Weg hat kein Tor“, gehören zu den Standardwerken der Permakultur-Bewegung.

Ziele und Prinzipien

Industrielle Landwirtschaft mit Monokulturen und massivem Einsatz von Pestiziden ruiniert Böden und Wasser und reduziert die Biodiversität (D). Permakultur soll diese Probleme beseitigen. Basis dafür ist die Nutzung biologischer Ressourcen und ein Design, das natürlichen Ökosystemen nachempfunden ist. Durch Ansiedlung unterschiedlicher Pflanzen und Tiere soll die natürliche Artenvielfalt gefördert werden. Ziel der Permakultur ist es, durch geschlossene Stoffkreisläufe langfristig stabile Systeme zu schaffen, die sich selbst erhalten und nur minimaler menschlicher Eingriffe bedürfen. Die Philosophie dahinter ist die Arbeit des Menschen mit der Natur und nicht gegen sie.

Mollison und Holmgren erprobten in Hunderten von Projekten Gestaltungsprinzipien, die sie fortlaufend erweiterten und verfeinerten. Um unabhängige, widerstandsfähige und gerecht verteilte Lebensräume zu schaffen, schlugen sie pragmatische methodologische Prinzipien vor. Diese beruhen auf wissenschaftlicher Ökologie, traditionellem Wissen, Beobachtung und Experimentieren.

Im Laufe der Zeit bemerkten Mollison und Holmgren dass es notwendig ist, soziale Aspekte einzubeziehen. So erweiterten sie das ursprünglich rein landwirtschaftliche Konzept um die Gestaltung sozialer Siedlungsräume. Diese sollen in Harmonie mit natürlich gewachsenen Habitaten angelegt werden, wie es auch schon in der „permanent culture“ oder auch der Lebensreform-Bewegung beschrieben wurde. Permakultur hat sich mittlerweile zu einer ökologischen Lebensphilosophie und einer weltweiten Graswurzelbewegung entwickelt. Richtlinien und Siegel, die definieren, was „Permakultur“ ist, existieren in Deutschland im Vergleich zu Richtlinien für den Ökolandbau noch nicht.

Praxis

Avocado

In Europa wird Permakultur in privaten Hausgärten ebenso wie auf mittelgroßen Bauernhöfen praktiziert. In Dortmund wurde in den 1980iger Jahren der öffentlich zugängliche Umweltkulturpark nach permakulturellen Prinzipien angelegt. Der Förderverein Permakultur e.V. pflegt die Anlage inklusive Garten seitdem. Wer mag, kann dort mitmachen/-arbeiten und Permakultur praktisch erfahren: https://www.umweltkulturpark.de/

Während sich die halbe Welt im home office versteckt hielt und nur noch online kommuniziert wurde, haben wir den Weg in die Gärten beschritten. Aus einem privaten Projekt wurde das Permakultur-Projekt des WiLaDo. Dieses umfasst ein Stück Grabeland in Dortmund und ein weiteres gepachtetes Gelände in Spanien. Darüber werden wir hier in Zukunft noch öfter berichten. Auch Vorträge und Workshops sind in Planung. Ein beeindruckendes Video über das spanische Gelände wurde von Zirkeldreher auf youtube veröfffentlicht; hier ohne Werbung und tracking.

Zum Weiterlesen

Sammlung von Buchbesprechungen, Videos und Artikeln zu Permakultur:
https://permakultur.farm/

Praxistipps
Wer jetzt im eigenen Garten sofort loslegen möchte, findet hier praktische Tipps. https://www.wurzelwerk.net/2020/10/28/permakultur-garten

Permakultur Institut e.V.
Der Verein Permakultur Institut wurde 1983 gegründet und hat sich nach eigener Aussage zur beständigsten Organisation der Permakultur-Bewegung im deutschsprachigen Raum entwickelt. Zweck des Vereins ist es, die Entwicklung zukunftsfähiger Lebensweisen zu unterstützen. Dafür organisiert der Verein Bildungsarbeit und vernetzt Permakultur-Aktive. https://www.permakultur.de/

Krameterhof – Holzersche Permakultur
Mit innovativen Ideen, aber auch alten Methoden, wie Terrassenbau, Hügel- und Hochbeeten, dem Halten gefährdeter Nutztierrassen und dem Schutz bedrohter Alpen- und Kulturpflanzen, hat Sepp Holzer in Östereich die Holzer’sche Permakultur für den alpinen Bereich entwickelt und dabei in vielen Bereichen erstaunliche Ergebnisse erzielt. http://krameterhof.at/

Anmerkungen

(A) Ob das von Meadows et al. benutzte Modell „World3“ [3] und die darauf beruhenden Simulationen in „The Limits to Growth“ eine Anregung für „Simulacron-1“ (1973) waren? Jedenfalls lohnt es sich immer noch, „Welt am Draht“ [4] zu rezipieren; cineastisch sowieso (die „Matrix“ [5] erschien 26 Jahre später!), ontologisch erst recht (von Stanisław Lem erschien 1971 mit „Der futurologische Kongreß“ [6] eine „chemische Version“), aber hier vor allem wg. der technokratiekritischen Darstellung des Umfelds der Simulation. Solche Kritik macht „World3“ oder gar aktuelle Klimamodelle nicht falsch, kann aber darauf hinweisen, dass die Perspektive von „System Dynamics“ [7] die des Managements eines komplexen Systems ist – im Falle von „World3“ als globalem Modell eben das Management der Menschheit. Wehe denen, die da nicht ge’manage’t werden wollen! Aber ohne die wird es keine Lösung der stofflichen und sozialen Probleme geben – denn dass das Management der Welt bzgl. der vor 50 Jahren publizierten Erkenntnisse und Folgerungen mindestens versagt hat, pfeifen nicht nur die Spatzen und ihre Ornithologen von den Dächern. Da bleibt nur der zwingende Schluss, dass die Bevölkerung die Probleme selbst lösen muss, wenn sie gelöst werden sollen. Die Nahrungsmittelversorgung ist Grundlage jeder Gesellschaft, und daher ist kleinteilige, (und dadurch) reflektierte Landwirtschaft (zB Permakultur) wichtig für jede Gesellschaft, die das ökologische Niveau früherer Zivilisationen erreichen will – und muss, wenn homo sapiens (vom „Rest“ der Biosphäre ganz zu schweigen) noch 50000 Jahre Holozän genießen möchte ([8], via SciHub [9]). Falls die Bevölkerung nicht entschlossen damit fortschreitet, die Mittel für die konkret sinnvollen Änderungen in die eigenen Hände zu nehmen, d.h. sie dem „Weiter so!“ zu entziehen und für grundsätzliche Lösungen zu verwenden, wird es statt Holozän wohl leider der „hothouse earth pathway“ [10] werden …

(B) Die alternativen Bemühungen der 1970er zu skizzieren wäre ein eigener Artikel, aber zB das 1975 erschienene „Ökotopia“ [11] von Ernest Callenbach (digital via LibGen [2]) kann auch den Nachgeborenen einen lesbaren Eindruck vermitteln: „Das eindrucksvolle umweltschonende Energiemanagement, das nachhaltige Bauwesen und die reparaturfreundliche Technik, welche in Ökotopia beschrieben werden, basieren auf bereits real existierenden Pilotprojekten, Forschungen und Entdeckungen, die bereits zuvor in Artikeln in Fachzeitschriften wie dem Scientific American veröffentlicht und diskutiert wurden. Die Geschichte ist ein feines Gewebe aus Handlungs- und Motivfäden über neue technologische Errungenschaft, soziale Entwicklungen, Lebensstile, eingebürgerte Bräuche, und einer teils absichtlichen, teils erzwungenen Abgrenzung gegenüber dem American Way of Life. Damit verbunden ist eine tendenzielle Abkehr vom Haben zum Sein, eine bewusstere Wahrnehmung der Umgebung und Lebensumstände und daraus resultierend mehr Reflexion über den eigenen Lebenswandel, die Gemeinschaft und die Zusammenhänge, also ein vernetztes Denken.“ [11]

(C) Aus guten Gründen nicht erwähnt wird die im Fahrwasser der damaligen sozialen Bewegungen entstandene Partei „Die Grünen“. Historisch betrachtet haben Parteien, deren Basis emanzipatorische Bewegungen waren, durch ihre Beteiligung an den Machtstrukturen der verwalteten Welt [12] (d.h. dem Management der Gesellschaft) die von den Bewegungen erstrebten Entwicklungen effektiv verhindert. Bei den „Grünen“ zB statt Frieden Angriffskrieg (Kosovo 1999 [13]) und Aufrüstung (aktuell), statt Atomausstieg Atomkonsens (2002 [14]), statt sozial die Hartz-Reformen („Agenda 2010“). Unbestrittener Meister dieser Liga bleibt natürlich als politischer Arm der Arbeiterbewegung die SPD: statt Generalstreik gegen den Krieg die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 [15], statt Sozialismus das Abwürgen der sozialen Revolution nach dem Ende des Welkriegs incl. Massakern an den Arbeitern zB im Ruhrgebiet nach dem Kapp-Putsch 1920 [16], Blutmai in Berlin 1929 [17], usw. usf. Wir wollen den Brechreiz hier nicht vertiefen (zB mit den radikalen Sozialdemokraten, den Bolschewiken), denn der Beitrag soll ja eher Lust auf Neues und ggf. auf eigene Aktivität machen.

(D) 1972 ging nicht nur der Club of Rome mit den „Grenzen des Wachstums“ an die Öffentlichkeit, sondern auch das ARPANET [18], also das Proto-Internet: „Im Oktober 1972 wurde das ARPANET auf der ersten internationalen Konferenz über Computerkommunikation in Washington D.C. öffentlich demonstriert. Mit nicht weniger als dem Echtzeitzugriff vom Konferenzort auf über 40 entfernte hosts (s. RFC372, RFC384) und deren Programme über das ARPANET.“ [19] Auch wenn diese Synchronizität nur ein historischer Zufall ist, so lohnt es, sich von Kritik an der industriellen Landwirtschaft zu solcher am industriellen Internet inspirieren zu lassen (zB bzgl. Kapitalkonzentration, Umweltbelastung, Erzeugung von Abhängigkeit, Ressourcenverbrauch, cash crops, junk food, …). Vielleicht lässt sich aus der Analogie auch Gegenstrategisches entwickeln? Permakultur im Datengarten!-)

[1] <https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Grenzen_des_Wachstums>
[2] <https://de.wikipedia.org/wiki/Library_Genesis>
[3] <https://de.wikipedia.org/wiki/World3>
[4] <https://de.wikipedia.org/wiki/Welt_am_Draht>
[5] <https://de.wikipedia.org/wiki/Matrix_(Film)>
[6] <https://de.wikipedia.org/wiki/Der_futurologische_Kongre%C3%9F>
[7] <https://de.wikipedia.org/wiki/System_Dynamics>
[8] <https://doi.org/10.1126%2Fscience.1076120>
[9] <https://de.wikipedia.org/wiki/Sci-Hub>
[10] <https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1810141115>
[11] <https://de.wikipedia.org/wiki/Ökotopia>
[12] <https://de.wikipedia.org/wiki/Verwaltete_Welt>
[13] <https://de.wikipedia.org/wiki/Kosovokrieg>
[14] <https://de.wikipedia.org/wiki/Atomgesetz_(Deutschland)#Novellierung_2002>
[15] <https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsanleihe#Erster_Weltkrieg>
[16] <https://de.wikipedia.org/wiki/Ruhraufstand>
[17] <https://de.wikipedia.org/wiki/Blutmai>
[18] <https://de.wikipedia.org/wiki/Arpanet>
[19] <http://projekte.free.de/anarchismus-und-internet/A+I.midi.web/entwicklung-des-internet.html>

Banane

Kommentare deaktiviert für Wachstum